Auf nach Taka Tuka Land

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  • Beitrag veröffentlicht:14. Dezember 2015
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Ruesselheim am Main, liegt nicht am Meer, der Name sagt das bereits, sondern an einem Binnengewaesser. Erst kuerzlich wurden an den  Einfahrten der staedtischen Kommune, die kurz vor dem Fadenkreuz des Frankfurter Flughafens liegt, die Schilder ausgetauscht. Aus Ruesselsheim (ohne Main) wurde Ruesselsheim am Main (mit Main)… Das waere ein klassischer Fall fuer die Trophaensammlung innerstaedtischer Stadtpiraten gewesen, die vor mehr als zwei Dekaden am besagten Mainufer, aus recycelten Faessern und Paletten ein fest vertautes Floss zusammenschnuerten und sich darauf auf den Weg machten(oder soll man besser sagen in See stachen?), um nach wenigen hundert Metern am Mainsteg der Schifffahrtsgesellschaft Koeln- Duesseldorfer wieder an Land zu gehen. Die spaete Post-Sponti- Aktion der f.NEP (fuer Nicht-Erst-und Protestwaehler) ging in die Geschichte ein als „Ueberfall der Stadtpiraten auf Ruesselsheim“.

Wir schreiben das Jahr 1989 und aus heutiger Sicht besteht die nicht zu unterschaetzende,  reale Gefahr nostalgischer Verklaerung, die etwas wehmuetig die Unschuld jugendlicher Unbedarftheit beschwoert. Zur Erinnerung oder um das Ganze aus Frankfurter Perspektive etwas mehr in den Kontext zu setzen: in Frankfurt (ebenfalls am Main) besteht das Post – bzw. Ex – Spontitum aus dem sog. „realpolitischen Fluegel“ der Frankfurter GRUENEN. Die Generation Jutta Dittfurth ist bereits abgetreten oder ist im Begriff dies zu tun. Der Wahlkampf wird ueberlagert von rassistischen Ausfaellen der CDU und diverser Rechtsparteien unter dem Eindruck der sog. „Asyldebatte‘ („das Boot ist voll….“). Am Ende steht eine rot-gruene Mehrheit im Frankfurter Stadtparlament, die Genese des Amts fuer multikulturelle Angelegenheiten und eine kulturpolitische Wende fuer mehr „Off – Kultur“. Waehrend in Frankfurt aus dem Bewusstsein der Niederlage, sozusagen auf dem Schutt der Geschichte der Frankfurter Haeuserkaempfe, eine machtpolitische Alternative neuer urbaner Bevoelkerungsteile entsteht, existiert in Ruesselsheim das Phaenomen der Verspaetung.

Seit dem Einbruch des Steueraufkommens, durch die Krise in der Automobilindustrie, wird der staedtische Haushalt in Ruesselsheim von roten Zahlen gepraegt. Eine grosse Koalition aus SPD und CDU regiert seit 1985 das staedtische Elend im Stadtparlament mit satter Mehrheit. Als erster Akt der neuen Koalitionaere wurde das sog. „Treff“, der JDFC (Jugend – Diskussions – und Freizeit- Club)Bauschheim, dem Begehren der CDU geopfert. Das „Treff“ steht in der Tradition der Forderung nach selbstverwalteten Jugendzentren aus den 70ern und war legendaer fuer seine ausschweifenden Partys  bis in die fruehen Morgenstunden. Eine Party auf der ein Hinkel (haessliches hesssich fuer tiefgefrosteter Gockel) an’s Kreuz genagelt wurde, wurde den Treff’lern zum Verhaengnis. Die Aktion fand Erwaehnung in der Presse und von nun an war das Treff ganz oben auf der Abschussliste der CDU. Die neue machtpolitische Konstellation beendete die Tradition selbstverwalteter Jugendzentren in Ruesselsheim.

Ironie der Geschichte:  im selben staedtischen Haushalt mit dem die Schliessung des JDFC beschlossen wurde, wurden die Mittel freigesetzt fuer den Umzug und Neubau des „Freien Kultur Cafe’s“ in die Innenstadt. Das freie Kulturcafe entstand 1980 aus der Besetzung einer staedtischen Liegenschaft (das Ex  – Jugendcafe wurde Opfer einer Sparmassnahme) im doerflichen Kern von Alt – Hassloch und laesst sich am besten umschreiben mit dem Begriff „soziokulturelles Zentrum‘. Das war, fuer Ruesselsheimer Verhaeltnisse, eine  nicht zu unterschaetzende Innovation in der Region. Die breite Reputation durch ein anspruchsvolles Kulturprogramm gab dem Projekt die Chance aus der staedtischen Randlage in’s Zentrum der Stadt zu ruecken und zukuenftig verstaerkt in soziale Kaempfe einzugreifen(das war zumindest der Plan). Sprich: die Stadt machte richtig fett Kohle locker. Das war lediglich eine kurze Phase in der chronisch ebben Kassenlage , in der OPEL wieder Steuern zahlte, statt rote Zahlen zu schreiben und Ruesselsheim folglich wieder fluessig war.

Leider scheiterte das Projekt (wie so oft) an internen Widerspruechen und aeusseren Zwaengen. An dem Tag,  als die Stadtpiraten die City von Ruesselsheim enterten, stand das frisch gebackenen soziokulturelle Zentrumm mit innerstaedtischer Lage und linken Machern in der Chefetage, aber noch als Pate zur Verfuegung. Die Idee fuer eine Protestwaehlerliste entstand hingegen 4 Jahre zuvor aus einer Sektlaune im JDFC Bauschheim( (R.I.P.). Der erste oeffentliche Auftritt fand bei ungemuetlichen Schmuddelwetter  vor den Treppen zum Rathaus, sozusagen auf der Schwelle zur Macht, statt. Unter Pauken und Trompeten (ich uebertreibe ein wenig – man merkt ich komme aus einer Fassnachtsregion) ,wurde der selbsternannte f.NEP – „Stadtkaiser“ auf einer Saenfte, bei nassakalten Schneetreiben, von seinen Untertanen vor das Rathaus geschleppt, um seinen Herrschaftsanspruch zu verkuenden. Als grosszuegige Danksagung fuer die Leistungen der staedtischen Kulturverwaltung wurde ein Hohlblockstein vor der Rathaustuer hinterlassen. Auf der Wahlkampfparty, im damals noch existierenden Treff, konnten sich die Partygaeste auf den Trohn setzen, die Krone aufsetzen und das Zepter in die Hand nehmen . Per Sofortbildkamera, sozusagen ein frueher Selfie, konnte man sich ablichten lassen. Ich habe die Gelegenheit an dem Abend genutzt (was sonst?) und das Bild existiert bis heute als Beweismaterial. Ich schaue etwas verschlafen(oder angetrunken?)  mit einem Sektglas in der Hand in die Kamera.

Zwei Legislaturperioden spaeter hatte ich Gelegenheit als f.NEP – Spitzenkandidat im dritten Anlauf anzutreten. Das inoffizelle Motto der Stadtpiraten von Ruesselsheim „Auf nach Taka Tuka Land!“ hatte ich zuvor flaechendeckend ueber das Stadtgebiet auf diversen Fassaden verteilt, per Sprayfarbe, hinterlassen. Mein „Taka Tuka Land“ oder soll man besser sagen „Mein kunterbuntes Haus“, von dem in der Titelmelodie der Verfilmung des Kindebuchklassikers „Pipi Langstrumpf“ die Rede ist, lag wieder nur wenige Meter vom Mainufer entfernt, auf dem besetzen Gelaende des Wagenplatzes Ruesselsheim. Da habe ich mir (nicht nur mir) was eingebrockt…. Der Rueckzug auf eine provisoriche Wohnform , das notduerftige Quartier auf wenigen Quadratmetern Flaeche, erinnert stark an die Zeiten zugiger Nachkriegsbehausungen und appeliert einerseits an eine nonkonforme Geisteshaltung und argumentiert  andererseits mit der blanken sozialen Not drohender Wohnungslosigkeit in Zeiten knappen Wohnraums. Darunter verborgen lag auch ein Trend der Zeit – heute kann man sich eine Luxus – Standard – Ausfuehrung der Wohnform fuer 10.000 Euro fuer das Privatgrundstueck bestellen. Ende der 80er wurden die Bauwaegen, als Auslaufmodell, noch kostenguenstig von Baufirmen abgegeben. Auf dem Markt setzten sich damals Container als Standard durch. Heute werden ausgebaute Waegen als Mangelware zunehmend zum begehrten Handelsobjekt.

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, das ich das Abflugicket, fuer die Wintermonmate in der Karibik, bereits in der Tasche hatte, als ich angefragt wurde fuer die f.NEP – Spitzenkanddatur. Genausowenig wie die Piratenrepubliken der karibischen Inseln heutigen sozialromantischen Vorstellungen entsprachen( es handelte sich viel mehr um das brutale Geschaeftsmodell selbststaendiger Unternehmer im Dienst konkurierender Handelsnationen), deckte sich die truebe Wirklichkeit derersten Wintermonate der Besetzung auf dem Wagenplatz Ruesselsheim, mit dem nach aussen projezierten Bild vom bunten Wagenleben. Die Aktion entsprach mehr den duerftigen  Ressourcen lokaler Kraefteverhaeltnisse und laesst sich als taktischer Rueckzug einer schwaechelnden Szene interpretieren. Die Provokation verlief folglich anfaenglich in’s Leere. Die Stadt spielte auf Zeit und tat so als wuede die Besetzung nicht existieren, aus dem Kalkuel, dass sich das Problem von alleine erledigt(sprich: die Widersprueche intern implodieren). Womit die Stadt nicht gerechnet hatte, war eine gewisse Zaehigkeit und Ausdauer (oder soll man sagen Alternativlosigkeit?), die dem Projekt Legitimation verschaffte. Auf Truebsinn bei Gluehwein (oh du froehliche, selige Weihnachtszeit….), folgte „Vive La Trance!“ bei Sonnenschein (Vamos a ya playa….). Nicht zu unterschaetzen der Bedarf der Presse nach Lesestoff und Bildmaterial waehrend der nachrichtenarmen „Saure Gurken“ Periode im saisonalen Sommerloch.

Womit wir wieder an dem Abend waeren, als es an meiner Tuer klopfte und ich zum Spitzenkandidat gekuert wurde. Ich sass damals in einem kleinen 1 – Achser – Bauwagen, mehr eine Art Wohnzelle auf wenigen Qudratmetern. Das Hochbett verbarg mein Rest – Eigentum, das mir nach diversen Umzuegen geblieben war. Ein kleiner Tisch, ein Stuhl, ein Ofen, ein Buecherregal. Mehr besass ich nicht. Wahrscheinlcih sass ich innerlich bereits auf gepackten Koffern und sah mich im Geist im Flieger abstuerzen (es handelte sich um meine erste Flugreise). Ich hatte bereits mit einem fluechtigen Blick durch ein hell erleuchtetes Fenster, sozusagen im Vorruebergehen, registriert was da in unmittelbarer Nachbarschaft vor sich ging. Das einberufene Treffen hatte wenig von der Spontanitaet frueherer Listengruendungen. Die notwengiegen Listenunterschriften fuer die zweite Listengruendung, im Jahr 1989, wurden beispielsweise an einem Tag gesammelt und um dem Ganzen auch noch die Krone aufzusetzen, handelte es sich um einen Rosenmontag, sozusagen auf dem Zenit der Fassnachtssaison. In der Nacht zuvor wurde unter dem verstaerkten Zuspruch diverser geistiger Getraenke (Hoch die Tassen!) die Idee fuer eine f.NEP Liste zur Kommunalwahl wieder neu geboren. Am Tag  oder besser am fruehen Morgen darauf(d.h. wenig Schlaf) folgte der Gang zum Wahlamt und die Aushaendigung der Wahlunterlagen fuer die Last Minute Aktion etc. etc..So sieht Geschichte also auch aus:  eine Einladung an einen kleinen Kreis, ein trueber Winterabend, ein fluechtiger Blick durch ein  Fenster. Ich laufe am Ort der Wiedergeburt (3.Auflage) der f.NEP vorbei. Ich klopfe nicht an die Tuer. Dann klopft es an meine Tuer. Ich bin Spitzenkandidat!

Um es noch einmal in aller Kuerze zusammenzufassen:die dritte Listengruendung der f.NEP fuer die Ruesselsheimer Kommunalwahlen im Jahr 1993 entsprach von der Intention her mehr einem Akt der  Verzweiflung in einer politisch aussichtslosen Lage. Die Ruesselsheimer Stadtregierung, mit einem autokraten Oberbuergermeister an der Spitze, zeigte wenig Neigung ueber eine Legalisierung der Besetzung zu verhandeln. Die polizeiliche Raeumung, bereits mehrfach angekuendigt und immer wieder aufgeschoben, wurde lediglich aus wahltaktischen Ueberlegungen heraus nicht vollzogen. Hier zeigt sich noch einmal deutlich wie wertvoll ein boeser Geist, ein schwarzer Mann, als Gegner ist. Oberbuergermeister Norbert Winterstein aus Hofheim im Main – Taunus – Kreis besass als oberster Dienstherr den Gestus eines feudalen Gutsherren. Stetig treu an seiner Seite agierte Buergermeister  und Kulturdezerent Gerhard Loeffert, Ex – Juso und Verbindungsmann zur Pateibasis. Auch dies ein klassischer Fall: Guter Bulle. Boeser Bulle. Treue bedeutet oft Untergang. Ein dramturgisches Gesetz, das seine Wiederauffuehrung nicht nur auf der Buehne, sondern auch im Leben stetig feiert.

An dieser Stelle bedarf es eines kurzen Rekurs auf die Stadtgeschichte von Ruesselsheim. Das Bild von Ruesselsheim aus Massenunterkuenften und breiten innerstaedtischen Einfallsstrassen, auf denen man ungebremst Richtung Opelwerk brettern kann, ist zu grossen Teilen auf den Mist der Sozialdemokratie gebaut. Nach den ersten Sozialbaumassnahmen, um das Elend der Arbeiterschaft zu verbessern, den Opel – Siedlungshaeusschen, wurden in den 60ern ganze Stadtteile am Reissbrett gefertigt und aus dem Boden gestampft. Ich hatte das Glueck, oder auch Unglueck, als Angehoeriger der sog. „geburtenstarken Jahrgaengen“ in einer jener besagten Stadtteilen aufzuwachsen.Nachdem meine Mutter eine feste Anstellung als staedtische Angestellte erhielt, zogen wir aus der Erdgeschosswohnung in einer Blocksiedlung, nur wenige Strassenzuege weiter, in eine Hochhauswohnung in den 7.Stock. Es ist frapierend wie nur wenige Meter voneinander entfernte Wohneinheiten Auf – oder Abstieg in der sozialen Hirachie bedeuten. Fuer meine Mutter bedeutete der Einzug der Eintritt in das Konsumentenzeitalter mit repraesantativer Wohnzimmerschrankwand, Wohnzimmer – Couch und Schwarz – Weiss – Fernsehen. Fuer mich bedeutete der Einzug der Abstieg in eine kinderfeindliche Umwelt. Waehrend in der dicht bebauten Reihenhaussiedlung die egalitaere Atmosphaere kinderreichen Familien dominierte, herrschte im Hochhausblock die unsichtbare Hirachie der Mehrverdiener, die stetig auf Ruhe und Ordnung achteten.Es ist bemerkenswert wie in einem Klima der Angst strenger sozialer Kontolle stetig ein Suendenbock gesucht und gefunden wird. Irgendwann war ich an der Reihe die Rolle zu uebernehmen und ich gab mir alle Muehe den Anforderungen zu genuegen und das Haus, die Hausbewohner und die Hausordnung mit gerechten Terror zu ueberziehen. Von Guy Debord stammt das kathegorische Urteil fuer diese Art sozialer Wohnungsbau: „Hier passiert niemals etwas und hier wird niemals etwas passieren“.

Ob nun zu Recht oder zu Unrecht, sei dahin gesagt, die Ruesselsheimer Sozialdemokratie betrachtete die Stadt Ruesselsheim als ihr Werk und die Mehrheit im Stadtparlament von Ruesselsheim, als ihr Recht. So laesst dich der Tag an dem die SPD ihre Mehrheit im Stadtparlament verlor durchaus als politische Zaesur von lokaler historischer Bedeutung bewerten. Zu dem Zeitpunkt hatte ich mein Mandat (das ich erwarb als ich den Winter in der  Karibik verbrachte) bereits freiwillig zurueckgegeben. Ich spuerte von Anfang an nicht nur ein deutliches Unbehagen, sondern war von der neuen Rolle auch schlicht ein wenig ueberfordert. Die Arbeit im Paralment besteht aus einem Haufen Papierkrieg, d.h. Antraege, Anfragen, Vorlagen, Sitzungsprotokolle etc. etc…. Staendig ist der Briefkasten mit Papiermuell verstopft. Nicht nur die Arbeit im Parlament liess mich schaudern, auch das Tempo, mit dem anti – staatliche Haltungen  ueber Bord geworfen wurden (wenn ueberhaupt jemals vorhanden) liess schaudern. Aua! Aua! Das tat weh! Ohne mich ! Aus der Traum!  Also zog ich die Notbremse. Oder soll ich besser sagen: ich habe das  Handtuch geworfen? Fakt ist:  genau so schnell wie ich auf der politischen Buehne erschien,genau so schnell verschwand ich auch wieder in der Versenkung. Das war nicht mein Film! Nein Danke!

Der Ausgang der Kommunalwahlen war ein deutliches Votum gegen die grosse Koalition und wenn man so will, wurde mit dem  Ueberspringen der 5% Marke, der  Trostpreis fuer eine ruehrende ausserparlammetarsiche Subversion mehrerer politischer Generationen, ueber zwei Dekaden politischer Umbrueche in der Stadtgeschichte von Ruesselsheim an die f.NEP vergeben. Der f.NEP Wahlkampf wurde mitentscheidend gepraegt von einer Aktion: der Entfuehrung der sog. „Hoerl Familie“. Wer sich ein wenig mit Kunst im oeffentlichen Raum auskennt , dem ist der Name des Kuenstlers Ottmar Hoerl ein Begriff. Das Eurozeichen in Leuchtschrift am Willi Brand Platz im Bankenviertel von Frankfurt stammt u.a. von ihm. Die sog. „Hoerl – Familie“ besteht aus dem Piktogramm einer klassischen Kleinfamilie: Vater, Mutter, zwei Kinder und ein Wau Wau. An mehreren Standorten in unterschiedlichen Farben(die Farben stehen fuer die Vielfalt der Nationen der Ruesselsheimer Bevoelkerung) steht die Hoerl-Familie im Ruesselshiemer Stadtgebiet. Wenn man die Hoerl – Familie mit einem weiteren Beispiel fuer Kunst im oeffentlichen Raum vergleicht, dem sog. „Leinenreiter“ auf dem Mainvorland, der unter der spaeteren CDU Oberbuergermeisterin Otti Geschka entstand, wirken die „Hoerl’s“ bis heute erfrischend nuechtern, unaufgeregt und modern. Was heute aber wenig interessiert und erfolgreich in’s Stadtgebiet integriert ist, war damals voll der Aufreger. Warum?

Der Bedeutungsverlust der einst prosperierenden Industriestadt in der Region wird am deutlichsten sichtbar in der Krise des Einzelhandels in der City von Ruesselsheim. Was man auf den ersten Blick nicht wahrnimmt: hinter den Backsteinbauten der Opelfabrik stehen schon seit mehreren Dekaden ganze Areale leer. Aus der Opel – Metropole wird zunehmend ein Flughafen – Vorort. Der typische Ruesselsheimer arbeitet nicht mehr bei Opel , sondern am Flughafen. In der Konkurenz der Innenstaedte in der Region hat Ruesselsheim als Schmuddeladresse ein Imageproblem. Billigkaufhaeuser und Leerstand dominieren das Bild. Der hohe Anteil an Migration in der Bevoelkerung wird in der Oeffentlichkeit mehr als Problem und weniger als Potential betrachtet. Kunst und Kultur sollten als weiche Faktoren einen Imagewandel beschleunigen und  den Standort Ruesselsheim wieder wettbewerbsfaehig machen.  Nur so laesst sich vielleicht verstehen wieso die Oeffentlcihkeit auf die Entfuehrung der Hoerl – Familie  aus dem Stadtpark Ruesselsheim so  sensibel reagiert hat. Es ging um nicht mehr und nicht weniger, als um die Identitaet der zukuenfigen Stadt Ruesselsheim, die auf der symbolischen Ebene ausgefochten wurde.

Ob nun Populismus oder Vandalismus: die Aktion „Familienausflug“ machte Schlagzeilen und steht stellvertretend fuer die vielleicht letzte spekatakulaere Post – Sponti – Stadtpiraten – f.Nep – -Aktion in der Tradition der alten Ruesselsheimer Szene. Heute ist die blaue Hoerl  – Familie wieder vollstaendig im Stadtpark vertreten nach ihrem unfreiweilligen Famienausflug. Keine Spur ist mehr zu entdecken. Papa Hoerl wurde damals fein saeuberlich ein Herz in die Brust geflext. Wenige Monate nach dem Wahlerfolg der f.NEP wurde Oberbuergermeister Norbert Winterstein bei den Direktwahlen abgewaehlt. Es bedurfte einer CDU Oberbuergermeisterin um den Wagenplatz Ruesselsheim zu legalisieren. Die sog. „Regenbogenkoalition“ aus CDU, FDP, Die GRUENEN, f.NEP und Liste Ruessel (eine weitere Protetwaehlerliste)  machte bundesweit Schlagzeilen und blieb ebenso eine kurze Episode wie die CDU – Oberbuergermeisterin Otti Geschka, die nach 5 Jahren wieder abgewaehlt wurde. Bei der erstbesten Gelegenheit wurde das Buendnis von der f.NEP wieder aufgekuendigt. Der politische Preis fuer diverse Vertraege war die Wahl neuer Dezernenten in den Magistrat. Das war ohne Frage ein politisch taktisches Meisterstueck, bedeutete aber auch den Anfang vom Ende der Ruesselsheimer Szene. Die Ruesselsheimer Szene (R.I.P.) genehmnigte sich damals einen kraeftigen Schluck aus der Pulle „repraesentative Demokratie“ und verlor zwischenzeitlich den Boden unter den Fuessen. Wer das Zeug nicht gewohnt ist sollte besser die Finger davon lassen oder zumindest das Kleingedruckte unter Risiken und Nebenwirkungen vorher durchlesen, statt  hinterher zu klagen wenn die Balance verloren geht. Oder um es noch mal in aller Deutlichkeit zu wiederholen: nach so viel Hoehenflug folgte der schmerzhafte Fall auf die Fresse. Der Kater haelt bis heute an. Die letzte verblichene Parole „Auf nach Taka Tuka Land!“ blieb noch mehr als zwei Dekaden an einer dicht befahrenen Hauptverkehrsader von Ruesselsheim auf einer Mauer als Erinnerung an die letzten Stadtpiraten von Ruesselsheim stehen, bevor Sie  ueber Nacht auf Nimmerwiedersehen verschwand.