Everyday is like Sunday

Everyday is like Sunday

Was ist das fuer ein ‚Sunday‘, den Morrissey in seinem Song ‚Everyday is like Sunday‘ besingt? Ist das ein Sehnsuchtsort? Ein langer, schlaefriger Sonntag, der niemals enden mag und an die Masse Zeit erinnert, die uns zur Verfuegung stand, als wir Kinder waren? Oder ist das ein Kerkerort? Ein soziales Gefaengnis, aus dem wir nur schwer entkommen koennen und jede Minute Tonnen wiegt, die schwer auf uns lasten?

Der Sonntag, das ist klar – tickt anders. Die Strassen sind veroedet. Die Menschen auf den Strassen wirken verkatert. Die Laeden sind geschlossen. Die wenigen Zonen, wo Sonntags geshoppt wird, wirken wie Oasen. Die Stadt ist eine Wuestenlandschaft, menschenleer und verlassen, durch die der Wind weht und die Sonne brennt. Der Schall der Verbrennungsmotoren, die an den Ampelanlagen vibrieren, hallt wieder und ueberschlaegt sich zwischen den Bloecken.

Was tun mit einem Tag, der anders tickt? Der Sonntag ist reserviert – fuer das nichts tun. Das absoute nichts tun ist das gewesen sein – das verwesen. Totenstille. Friedhofsruhe. Ewiger Frieden. Wer wenig uebrig hat fuer die Lebenden, geht zu den Toten. Die Toten haben, zumindest vorruebergehend, den Standortvorteil, ihre Ruhe zu haben, bis sie wieder zur Umbettugng gebeten werden. Weit entfernt hallt eine Umgehungsstrasse oder droehnt Flugzeuglaerm. Sonst ruft nur ein Waldvogel oder huscht ein Eichhoernchen ueber den Weg. Hier herrscht ewiges Nichtstun. Hier ist sunday for ever.

Auf Friedhoefen herrscht naechtliche Ausgangssperre. Dann ist der Zutritt illegal. Wer sich nach Einbruch der Dunkelheit zertreuen will, betrachtet das Programm auf den Leuchttafeln der Programmkinos. Hinter heruntergelassen Rolladen schimmert der matte Schein der Bildschirme hervor, die sich durch bestaendiges Flackern verraten. Auch eine Form der Totenandacht. Die Bilder, die Lichtschatten, sind schon versiegt an der Quelle ihres Seins. Tatort oder Traumschiff? Dschungelcamp oder Big Brother? Die Bilder werden alt und grau, waehrend wir sie betrachten.

Der Sonntag, als Reservat fuer das ewige nichts tun, verfuegt wahlweise als Ferienort ueber den Balkon, die Veranda, das oeffentliche Gruen, Kleingartenanlage und in Coronazeiten den Wald. Der Abflug mit dem Flieger ist versperrt. Was tun ohne Kneipe, Kino, Kirche, Studio, Sportplatz? Was tun ohne die heiligen Staetten der Zerstreuung?

Zeit fuer den sonntaeglichen Familienkrach. Zeit fuer das Beziehungsgefecht. Zeit fuer den Krieg zwischen den Geschlechtern und Generationen. Zeit fuer die Multiplizierung der Probleme ins Unendliche. Hass auf deinen Naechsten, wie auf dich selbst. Alle gegen Alle. Nachbar gegen Nachbar. Kleinkrieg. Privatkrieg. Kratzen. Beissen. Spucken. Hauen. Treten. Faustkampf. Ringkampf. Zweikampf. Zeit fuer die ganz normale Vor-Unter-Neben-und Zwischen-Family-Horror-Psycho-Folter-Hoelle. Dante laesst gruesen. Wer diese Zone betritt, laeest bitte jede Hoffnung fahren. Let’s start a war!

Das allsonntaegliche Family Drama war in Zeiten progressiven Emanzipationsbestreben, also in den 70er und 80er Jahren, oft die Folie auf der kritische Autoren ihr dramatisches Werk abbildeten. Heute ist der Alltag, folglich auch der Sonntag, perfekt durchgetaktet. Leerlauf unmoeglich. Das internet ersetzt die Sonntagszeitung. Die Spannungen explodieren hier und jetzt staendig in Welt-und Echtzeit. Panzer-und Propagandakrieg an alle Fronten. Feuer frei fuer den globalen Buergerkrieg bis zur optimalen Punktzahl. Selbstinzenierung. Selbstoptimierung. Selbstdezimierung. Apocalypse Now I. Armageddon II. Zombie III.

Die Sonntagszeitung hatte zumindest den Vorteil, das man sich hinter ihr verstecken konnte, wie hinter einem Laermschutzwall. Analog schlaegt Digital. Das spielentscheidende Tor faellt in der letzten Minute der Nachspielzeit. Aber das ist ein anderes Thema. Heute wirkt das Internet wie eine Begraebnisstaette. Ein Friedhof der Erinnerung, auf dem die Toten wiederauferstehen. You Tube, mit seinen Live Events, auf denen sich die Massen als Echo fuer die Stars zelebrieren, in den Stadien und auf den Festivals der Welt, erscheint wie eine praehistorische Ausgrabungsstaette. Ein Objekt aus einer anderen Zeit oder einer anderen Dimension. Ein ewiger Sunday, der sich verklaert, zu einer falschen Erinnerung.

Nachklang: Saisonende. Ein verlassener Ort an der Kueste von England. Auf einer Postkarte steht: Wie sehr wuensche ich mir hier nicht zu sein! Im Refrain ein Wunsch, ein Versprechen, ein Gebet, eine Beschwoerung: ‚Armageddon – come Armageddon. Come, Armageddon! Come!‘ In der letzten Textzeile: ‚Win yourself a cheap tray. Share some greased tea with me. Everyday is silent and grey‘.